Deutschland

Milliardendefizit der Kranken- und Pflegekassen: Verbraucherschützer fordern gerechte Kostenteilung

Aufgrund von Milliardendefiziten bei den Kranken- und Pflegekassen drohen erhebliche Beitragserhöhungen. Doch das System selbst ist offenbar ein Pflegefall. Verbraucherschützer warnen davor, gesamtgesellschaftliche Aufgaben weiter den gesetzlichen Beitragszahlern aufzubürden.
Milliardendefizit der Kranken- und Pflegekassen: Verbraucherschützer fordern gerechte KostenteilungQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people/ Global Look Press

Marode Kliniksysteme, ellenlange Wartelisten für Arztbesuche oder aber die Abschaffung von Terminen, wodurch vor allem Angestellten der Gang zu Medizinern erschwert wird – das Gesundheitssystem hierzulande ähnelt hinsichtlich des Verhältnisses zwischen steigenden Ausgaben und sinkender Leistung dem der Bundeswehr. Vor allem für gesetzlich Versicherte. Doch auf ebendiese droht eine immense Welle aus Mehrkosten zuzurollen.

Vor dem Hintergrund, dass zuletzt in so gut wie allen Lebensbereichen die Kosten gestiegen sind, warnen Verbraucherschützer nun deutlich vor erheblichen Beitragserhöhungen für gesetzlich Versicherte. Laut Fachleuten klafft für 2023 in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Finanzlücke in Höhe von 17 Milliarden Euro, und mindestens 2,5 Milliarden Euro in der sozialen Pflegeversicherung. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte deshalb Beitragssatzsteigerungen an, doch das ruft die Verbraucherschützer auf den Plan. Sie prangern die systemischen Fehler an und plädieren dafür, diese zu beheben, statt die Bürger vor dem Hintergrund einer historischen Inflation mit zusätzlichen Kosten zu erdrücken.

Jutta Gurkmann, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) warnt, die Bundesregierung müsse jetzt die richtigen Weichen stellen, statt Verbraucher weiter durch steigende Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung oder gar höhere Zuzahlungen und Eigenanteile zu belasten. Zumal die Einzahlungen in die gesetzlichen Kassen bereits in vielen Bereichen auch jenen zukommen, die gar nicht einzahlen.

"Mit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung wird eine Vielzahl von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben finanziert. Dazu gehören zum Beispiel die Familienversicherung und Leistungen für Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und Empfänger," so Gurkmann.

Laut Verbraucherschützern sollten diese solidarischen Aufgaben nicht länger aus der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern künftig und dauerhaft aus Steuermitteln finanziert werden. Auch im Arzneimittelbereich gibt es zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung große Einsparpotenziale: eine Absenkung der Mehrwertsteuer, die rückwirkende Geltendmachung des Erstattungspreises für neu zugelassene Arzneimittel und die Fortführung des Preismoratoriums.

Erst in der vergangenen Woche verwies Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, auf die steigenden Kosten für die Kassen durch Medikamente. Der Ausgabenanstieg bei Arzneimitteln habe laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) im Jahr 2021 mit fast acht Prozent rund ein Drittel über dem durchschnittlichen Anstieg aller Leistungsausgaben der Krankenkassen gelegen. Eine Absenkung wäre ein klares sozialpolitisches Signal und würde die Beitragszahler um rund sechs Milliarden Euro im Jahr entlasten.

Arbeitslosengeld II, auch als Grundsicherung nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. Hartz-IV bekannt, erhalten hierzulande schon jetzt laut offizieller Statistik mehr als 5 Millionen Menschen. Zum Teil deshalb, weil wegen zu geringer Löhne oder anderer prekärer Arbeitssituationen ihr Einkommen zu gering ist. Auch Selbstständige können die "Grundsicherung für Arbeitssuchende" in Anspruch nehmen. Zahlreiche Konzerne haben in der Corona-Krise zudem von Kurzarbeit profitiert, welche ebenfalls vom Jobcenter ausgezahlt wurde. Viele dieser Unternehmen schütten dennoch Milliarden Dividenden an Aktionäre aus. Ab Juni sollen auch ukrainische Geflüchtete einen Rechtsanspruch auf Leistungen auf Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten. Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor, den das Bundeskabinett am Mittwoch auf den Weg gebracht hat. Bisher erhalten sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Neben mehr Geld und besserem Zugang zu medizinischer Versorgung sollen sich mit dem Beschluss auch die Zuständigkeiten ändern. Die Jobcenter sind künftig die zentrale Anlaufstelle für die Geflüchteten – bei Bedarf auch für die Arbeitsvermittlung. Bund und Länder hatten sich am 7. April auf diese Änderung geeinigt. Begründet wurde sie unter anderem damit, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben und daher keine Entscheidung wie bei Asylbewerbern abwarten müssten. Durch die Ausweitung der Grundsicherungsleistungen ist dem Entwurf zufolge mit 200.000 neuen Bedarfsgemeinschaften und Mehrkosten von 3,4 Milliarden Euro pro Jahr zu rechnen.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs haben Deutschlands Psychotherapeuten gefordert, dass Übersetzungsleistungen bei der Behandlung von Flüchtlingen von den Krankenkassen bezahlt werden. Sprachmittlung solle als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung für Flüchtlinge und Migranten in Deutschland verankert werden, forderte die Bundespsychotherapeutenkammer am Montag in Berlin.

Bereits seit langem sind gesetzlich Krankenversicherte in der Gesundheitsversorgung gegenüber privat Versicherten immens benachteiligt. Sie warten beispielsweise sehr viel länger auf Termine oder bekommen gar keine – eine bedenkliche Entwicklung mit negativer Tendenz. Laut der Verbraucherzentrale Bundesverband benötigt auch die soziale Pflegeversicherung einen höheren Steuerzuschuss, um Beitragssprünge zu vermeiden:

"Versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige sollten vom Bund übernommen werden. Den Beitragssteigerungen entgegenwirken würde zudem eine Umwidmung der Mittel aus dem Pflegevorsorgefonds. Zusätzlich brauchen die Versicherten und die Pflegebedürftigen eine verbindliche, gesetzlich festgeschriebene, jährliche Dynamisierungsregel für die Leistungssätze zur Pflege. Diese sollte sich an der Inflationsrate und an der Entwicklung der Bruttoreallöhne orientieren."

Die Verbraucherschützer sehen strukturelle Reformen als überfällig an, um Mehrbelastungen der Verbraucher zu verhindern, aktuelle Belastungen zu vermindern und die gesundheitliche sowie pflegerische Versorgung nachhaltig und solidarisch zu finanzieren, erklärt Gurkmann.

Die Problematik, dass eine Reihe von CDU-Spitzenpolitikern im Bundesgesundheitsministerium öffentliche Töpfe zur Selbstbereicherung und Vetternwirtschaft missbraucht haben, wäre womöglich ein weiteres Thema im Hinblick auf vermeidbare Belastungen der Bürger.

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