Russland

"Der junge Süden" – Russland setzt in neuen Gebieten auf Jugend und ordnet seine Geographie neu

Nur hundert Kilometer ist die Hafenstadt Berdjansk im Gebiet Saporoschje von der Frontlinie entfernt. In herbstlicher Idylle fand hier am Ufer des Asowschen Meeres ein dreitägiges Jugendforum statt, das Aktivisten aus den alten und neuen Territorien im russischen Süden anzog.
"Der junge Süden" – Russland setzt in neuen Gebieten auf Jugend und ordnet seine Geographie neu© https://www.югмолодой.рф

Eine Analyse von Wladislaw Sankin

Was passiert im Schatten der Frontberichte eigentlich mit der Jugend in den neuen russischen Regionen? Ist es der neuen Verwaltung in den Gebieten von Saporoschje oder Cherson gelungen, sie für sich zu gewinnen? Schließlich ist bekannt, wie sehr das ukrainische Bildungssystem auf Nationalismus und die Trennung der Ukraine von Russland gerade in den Bereichen Geschichte, Sprache und Kultur setzte.

Jugendprojekte in den vier neuen Regionen, der Donezker und Lugansker Volksrepublik, dem Gebiet Cherson und allen voran dem Gebiet Saporoschje, das zum Zentrum dieser Aktivitäten wurde, zeigen, dass sich die russischen Behörden der Probleme junger Menschen durchaus bewusst sind. Mit gezielter Förderung bauen sie nun ein überregionales Aktivisten-Netzwerk auf, das durch Zuschüsse und Wettbewerbe an das russische Ausbildungssystem für Führungskräfte angebunden ist.

Bislang haben westliche NGOs die aktive Jugend aus den ehemals ukrainischen Regionen abgeworben; die Verbliebenen waren sich selbst überlassen. Infolge einer fortschreitenden Deindustrialisierung und wirtschaftlichen Niedergangs hatten sie in dieser einst blühenden Region nur wenig Perspektiven.

"Es gab (in der Ukraine) in den letzten 30 Jahren keine Jugendpolitik", schildert ein Abteilungsleiter im Ministerium für Jugendangelegenheiten im Gebiet Saporoschje die Situation. Die Mitarbeiter des Ministeriums nähmen daher zurzeit wegen ihrer fehlenden Erfahrung in diesem Bereich an zahlreichen Fortbildungsmaßnahmen für neue Führungspersönlichkeiten teil.

Wer die Vorbereitungen zum Referendum, das Ende September stattfand, verfolgt hat, konnte beobachten, dass in den Küstenstädten des Gebiets Saporoschje mehrere Gruppen junger Aktivisten medienwirksam für den Beitritt zur Russischen Föderation geworben haben. "Russland ist das Land der Möglichkeiten", betonten die 18- bis 20-Jährigen in ihren Auftritten vor der Kamera.

Nur sechs Wochen nach dem Referendum, das die neuen Regionen im Südosten der Ukraine in die Russische Föderation geführt hat, fand ein Forum unter dem Motto "Der junge Süden" in der Küstenstadt Berdjansk statt. Daran teilgenommen haben 260 Aktivisten aus den vier Regionen sowie den angrenzenden Gebieten Rostow und Krim. Weitere 40 Freiwillige aus anderen Teilen Russlands übernahmen zumeist die Rolle von Tutoren und Seminarleitern. Insgesamt gab es 30 Veranstaltungen in ungezwungener Atmosphäre.

Die Zusammensetzung der Teilnehmer verdeutlichte auch die neue geopolitische Situation im südlichen Teil Russlands: die Verflechtung der Gebiete des historischen Neurusslands und des Donbass mit den angrenzenden russischen Regionen sowie die Herausbildung einer neuen Makroregion im Südwesten Russlands. Künftig könnten die bereits integrierten Regionen die Patenschaft für jene Gebiete übernehmen, die im Zuge der Militäroperation nach und nach unter russische Kontrolle kommen, sofern das militärische Glück und politische Geschick auf der Seite Russlands bleiben. Ausgerechnet zur gleichen Zeit wie das Forum fand jedoch der Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem Gebiet westlich des Dnjepr im Gebiet Cherson statt, was in Russland überwiegend für getrübte Stimmung sorgte.

Von der Trübsal war in Berdjansk allerdings kaum etwas zu spüren. Zahlreiche Foto- und Videoberichte zeigen eine optimistische und zufriedene Stimmung in den jungen Gesichtern. Die Mischung aus Bildung, Unterhaltung und kulturellen Events war das beste Rezept für das Knüpfen neuer Netzwerke. Ein wichtiges Anliegen der Veranstalter von der staatlichen Agentur Rosmolodjesch (Russische Jugend) war es, die Teilnehmer über die zahlreichen Programme zur Jugendförderung in Russland zu informieren.

Auch die militärische Auseinandersetzung mit dem ukrainischen Regime spielte auf dem Forum eine Rolle. Zugegen waren viele Stars der russischen Militärberichterstattung, deren Berichte von Millionen Abonnenten auf Telegram verfolgt werden. Sie gaben Einblick in ihre Arbeit und zeigten, wie man reichweitenstarke Telegramm-Kanäle aufbauen kann.

"Noch zu Beginn des Sommers war es schwer vorstellbar, dass im November das erste Jugendforum in den befreiten Gebieten in Berdjansk, auf russischem Gebiet stattfinden würde. Es ist großartig, dass die Jugendlichen die Gelegenheit hatten, etwas über die staatliche Jugendpolitik in Russland zu erfahren",

lobte Alexander Bugajew, Erster stellvertretender Bildungsminister Russlands, die Veranstaltung.

Das Forum endete mit einer Kunstausstellung, die vom Projekt Tavrida.Art vorbereitet wurde. Am letzten Abend rockten die Teilnehmer zu den Songs des Rap-Sängers Akim Apatschew aus Mariupol, der zur neuen Generation der russischen patriotischen Kulturszene gehört. 

Auf Telegram lässt sich leicht verfolgen, an welchen Projekten die jungen Freiwilligen in ihren Städten und Orten mitwirken. Zumeist handelt es sich um Kultur- und Geschichtsarbeit, Umweltprojekte, Schönheitsreparaturen, Veranstaltungen mit patriotischem Charakter oder humanitäre Hilfe, etwa bei der Evakuierung von Zivilisten vom rechten Dnjepr-Ufer.

Die Jugend in den neuen russischen Regionen bekommt durch das Netzwerken mit Gleichgesinnten aus den benachbarten Regionen und dem "fernen" Moskau das Gefühl einer großen Heimat mit guten Aufstiegschancen. Im Entstehen ist hier eine neue südrussische Zivilgesellschaft und womöglich auch eine neue Generation von Führungseliten, die über einzigartige Erfahrungen eines Lebens in den zwei postsowjetischen Staaten Russland und Ukraine verfügen.

Mehr zum Thema - Pranger, Denunzierungen, "Slawa Ukraini"-Rufe – was passiert im zurückgelassenen Cherson?

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.