Meinung

Im Osten nichts Neues? Die Eliten der östlichen EU-Staaten werden unruhig

Die Regierungen der östlichen EU-Staaten gehören im Ukraine-Konflikt überwiegend zu den antirussischen Scharfmachern. Doch die politische Situation in mehreren dieser Staaten ist instabil, die Zustimmung zum Eskalationskurs bröckelt. In Brüssel wird man nervös.
Im Osten nichts Neues? Die Eliten der östlichen EU-Staaten werden unruhigQuelle: www.globallookpress.com © President Of Ukraine/Keystone Press Agency

Von Pierre Lévy

Gibt es im Osten etwas Neues? Während die EU-Führer ihre Unterstützung für Kiew immer weiter ausbauen, beginnen die politischen Aussichten in einigen mitteleuropäischen Ländern, Brüssel den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Dies gilt für Bulgarien, die Slowakei und sogar die Tschechische Republik, während Ungarn das von der EU ungeliebte "schwarze Schaf" bleibt.

Bulgarien hat immer noch keine voll funktionsfähige Regierung. Die Wähler waren am 2. April an die Urnen gerufen worden, zum fünften Mal in Folge seit 2021. Auch dieses Mal hat sich keine klare parlamentarische Mehrheit abgezeichnet.

Vereinfacht gesagt, stehen sich in dem Land – das mit immensen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen hat und in dem die Armut endemisch ist – zwei politische Lager gegenüber, die beide gleichermaßen atlantisch eingestellt sind, aber ein Bündnis immer ausgeschlossen haben. Zumindest bislang.

Das erste wird von Bojko Borissow angeführt, dem Vorsitzenden der rechten, EU-freundlichen GERB-Partei. Von 2009 bis 2013, von 2014 bis 2017 und von 2017 bis Mai 2021 war Borissow Premierminister. In diesem Jahr erlitt er eine schwere Wahlniederlage, die auf eine im Sommer 2020 ins Rollen gekommene Bewegung zurückzuführen ist: die Mobilisierung gegen seine Macht, der Korruption, Klientelismus, Veruntreuung von Geldern und sogar mafiöse Praktiken vorgeworfen wurden, war besonders stark.

Die jungen politischen Gruppierungen, die aus dieser heterogenen Bewegung hervorgegangen waren, konnten jedoch bei den Abstimmungen im April, Juli und November 2021 keine Mehrheit erringen. Bei den letztgenannten Wahlen entstand eine Partei (PP – "Setzen wir den Wandel fort!"), die unter der Führung von zwei jungen Absolventen amerikanischer Universitäten, darunter Kiril Petkow (Harvard-Ausbildung), zur stärksten Kraft wurde und eine Minderheitsregierung bildete, die bis August 2022 Bestand hatte.

Der frischgebackene Premierminister versprach einen ebenso treuen Euro-Liberalismus wie sein Vorgänger, verpflichtete sich jedoch, die Korruption und den Autoritarismus Borissows auszumerzen. Er versprach, niemals ein Abkommen mit diesem zu schließen, der als Personifizierung der politischen "Fäulnis" galt. Seine fragile Regierung stürzte schließlich durch einen Misstrauensantrag.

Die Wahlen im Oktober 2022 und vor allem im April 2023 brachten eine Neuerung mit sich, die mit der Situation in der Ukraine zusammenhing: den Wiederaufstieg der "Erneuerungspartei" (Vazrazhdane), die oft als "pro-russisch" oder "ultra-nationalistisch" bezeichnet wird – Zuschreibungen, die ihr Vorsitzender ablehnt. Kostadin Kostadinow beruft sich vielmehr auf das Interesse Bulgariens, nicht mit Russland in den Krieg zu ziehen. Der große slawische Bruder war ein historischer Verbündeter des Landes, sowohl im Warschauer Pakt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als auch bei der Befreiung vom osmanischen Joch Ende des 19. Jahrhunderts.

Wie auch immer, Vazrazhdane erreichte von zuvor weniger als fünf Prozent der Stimmen nun neun Prozent im Oktober 2022 und 13,6 Prozent im April 2023. Zusammen mit den Ergebnissen anderer Gruppierungen, die vom Westen als pro-russisch eingestuft werden (darunter die Bulgarische Sozialistische Partei mit 8,6 Prozent), zeugt dieses Ergebnis von einer neuen Polarisierung in der Gesellschaft zwischen denen, die den von der EU und der NATO vorangetriebenen geopolitischen Kurs gutheißen, und denen, die sich ihm widersetzen. Die Existenz und Entwicklung dieser heterodoxen Bewegung verhindert, dass eine der beiden Pro-Brüssel-Kräfte eine absolute Mehrheit erlangt.

Werden die Gespräche zwischen den beiden Parteien, die Ende April – wahrscheinlich auf diskreten Druck aus Brüssel – aufgenommen wurden, zu einem Ergebnis führen? Oder werden die Wähler ein sechstes Mal an die Urnen gehen?

Im Moment gilt die Sorge der EU-Eliten auch der Slowakei. Sowohl die (Minderheits-)Regierung als auch die Staatschefin sind den atlantischen Thesen verfallen und bemühen sich, bei den Waffenlieferungen an Kiew eifrig voranzuschreiten. Die Gesellschaft selbst ist jedoch weit von diesem Konsens entfernt: Meinungsumfragen zeigen, dass ein Teil der Bevölkerung eine weniger aggressive Haltung gegenüber Moskau bevorzugen würde. Die Geschichte spielt hier eine Rolle, ebenso wie die soziale Situation.

In der Hauptstadt Bratislava hat sich die ohnehin instabile politische Lage weiter verschärft: Nach einem Subventionsskandal traten mehrere Minister und schließlich auch der Regierungschef zurück. Für September sind Wahlen angesetzt.

Verschiedenen Umfragen zufolge sollen die sogenannten "pro-russischen" Kräfte im Aufwind sein.  Dies gilt für die SMER-SD des ehemaligen Premierministers Robert Fico und eine von ihm abgespaltene Gruppe, HLAS. Diese beiden Parteien, die aus der sozialdemokratischen Bewegung hervorgegangen sind, aber oft als "linksnationalistisch" oder sogar "populistisch" eingestuft werden, liegen in den Wahlprognosen an erster Stelle (mit 18 beziehungsweise 15 Prozent). Die OLANO-Partei, die die Wahlen 2020 mit 25 Prozent der Stimmen gewonnen hatte und somit die Koalitionsregierung anführte, kommt ihrerseits bei den Befragten kaum über fünf Prozent Zuspruch hinaus.

Dies geht so weit, dass man in Brüssel (inoffiziell) warnt: Eine Rückkehr Ficos an die Macht wäre in einem Land "an der Frontlinie" eine echte Katastrophe.

Schlimmer noch: Dies könnte sich auf die benachbarte Tschechische Republik auswirken. In Prag befürwortet die politische Führung eine – auch militärische – Unterstützung der Ukraine, erst recht seit letzten März, als ein ehemaliger NATO-Kommandeur zum Staatsoberhaupt gewählt wurde.

Aber Andrej Babiš, der ehemalige Premierminister, der im Oktober 2021 nur knapp unterlegen war, hat nicht aufgegeben zu versuchen, an die Macht zurückzukehren. Zwar wäre es übertrieben, ihn als pro-russisch zu bezeichnen, aber er hatte sich in seiner Kampagne insbesondere auf die großen Volksdemonstrationen für Frieden und ein Ende der Waffenlieferungen gestützt, an denen im Herbst 2022 Zehntausende Menschen teilnahmen.

Babiš ist zudem ein enger Vertrauter von Viktor Orbán, dem ungarischen Regierungschef. Orbán tritt immer wieder für einen Dialog mit Moskau ein – für Brüssel eine Ketzerei – und spricht sich gegen Sanktionen aus. Dennoch stimmte er weiterhin für diese. Denn Budapest ist stark von EU-Geldern abhängig und Brüssel nutzt diesen Hebel, um Druck auszuüben, sowohl in diesem als auch in anderen Bereichen. Festzuhalten bleibt aber, dass Orbán im April 2022 triumphal wiedergewählt wurde, indem er sich "für den Frieden" und "gegen die den Krieg befürwortende Linke" positionierte.

Tatsächlich geht es nicht um die Aufrichtigkeit der Seele oder die intellektuelle Redlichkeit dieses oder jenes Politikers. Bemerkenswert ist vielmehr, dass einige von ihnen pazifistische Themen aufgreifen und dass sich Teile des Volkes finden, um ihnen zu folgen – und ihnen gegebenenfalls zum Erfolg zu verhelfen.

Der euro-atlantische Konsens, den Brüssel so dringend braucht, wird also in den Völkern der 27 Mitgliedsstaaten bei Weitem nicht einhellig geteilt. Und die kleinste falsche Note könnte sich zu einem Schneeball entwickeln.

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