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Ein neuer Hotspot im ukrainischen Konfessionskrieg

Nach dem Angriff auf das Kiewer Höhlenkloster haben die ukrainischen Behörden ein weiteres berühmtes Kloster ins Visier genommen ‒ das Kloster von Potschajew. Sie versuchen dort, den gleichen Plan wie in der Hauptstadt umzusetzen. Experten warnen jedoch: Die Situation könnte außer Kontrolle geraten. Und die Folgen werden viel härter sein.
Ein neuer Hotspot im ukrainischen KonfessionskriegQuelle: Sputnik © Sergei Pjatakow / RIA Nowosti

Von Sergei Proskurin, RIA Nowosti

In der Region Ternopol wird ein großer Feiertag begangen, der Tag des Heiligen Hiob von Potschaew. Dieser Heilige, der hier im 17. Jahrhundert besonders verehrt wurde, war der Abt des Potschajew-Klosters der Entschlafung Marias.

Ein heiß begehrter Leckerbissen

Der Legende nach wurde es im Jahr 1240 von Mönchen aus Kiew gegründet. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Kloster zu einem wichtigen religiösen und missionarischen Bildungszentrum mit einer Druckerei und einem Seminar.

Selbst in den Jahren der Sowjetunion wurde das Kloster nicht geschlossen. Es wird von den Gläubigen noch ehrfurchtsvoller behandelt als das Kiewer Höhlenkloster. Im Jahr 2018 ist es Teil des örtlichen historischen und architektonischen Schutzgebiets und befindet sich offiziell im Besitz des Staates. Die hier lebenden Mönchsbrüder der kanonischen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche mieten lediglich die religiösen Bauten.

Das Fest wurde in diesem Jahr jedoch durch beunruhigende Nachrichten getrübt. Am 5. Mai wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft des Gebiets Ternopol ein Strafverfahren gegen das Kloster wegen "Misswirtschaft mit Grund und Boden" eingeleitet hat.

Es wird behauptet, dass die Mönche ein Grundstück mit einer Fläche von über tausend Quadratmetern unbefugt bebaut und auf dem anderen ‒ das für landwirtschaftliche Arbeiten bestimmt ist ‒ teilweise den Mutterboden abgetragen hätten. Dies könnte angeblich zu einer Verringerung oder einem Verlust der Humusfruchtbarkeit führen.

Bereits am nächsten Tag erklärte Kulturminister Aleksandr Tkatschenko, dass eine Abteilungskommission zur Überprüfung des Klosters entsandt werden würde. Nach der gescheiterten gewaltsamen Beschlagnahmung des Kiewer Höhlenklosters scheinen die Behörden beschlossen zu haben, ein anderes Ziel anzugreifen.

Auf den begehrten Leckerbissen haben sie schon seit langem ein Auge geworfen. Im Januar wurde auf der Webseite des ukrainischen Ministerkabinetts eine Petition registriert, in der gefordert wurde, den Mietvertrag mit der kanonischen Kirche zu kündigen. Die Petition erhielt jedoch nicht einmal 25.000 Stimmen.

Zentral koordinierte staatliche Politik gegen die kanonische Orthodoxie

Im März erklärte der Vorsitzende des Gebietsrats von Ternopol, Michail Golowko, dass die Abgeordneten die Zentralregierung auffordern würden, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche das Recht auf Nutzung des Potschajew-Klosters zu entziehen. Der entsprechende Gesetzentwurf wurde im April der Obersten Rada vorgelegt.

Es stellte sich jedoch heraus, dass es nicht so einfach ist, den Pachtvertrag aufzulösen.

"Der Vertrag wurde 2003 unterzeichnet und läuft in 50 Jahren aus. Das Einzige, was helfen kann, ist zu überprüfen, wie dieses Eigentum genutzt wird",

erklärte Jewgenija Krawtschuk, eine Abgeordnete der Partei "Diener des Volkes". Michail Golowko beeilte sich zu versichern, dass bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, die sich mit dieser Frage befasst.

Krawtschuks Verbündeter Nikita Poturaew, ein Scharfmacher, der damit drohte, "patriotisch gesinnte junge Menschen" gegen die Mönche des Kiewer Höhlenklosters aufzuhetzen, ist pessimistischer, was die Situation in Potschajew angeht:

"Im Allgemeinen gibt es keine Gründe für eine Kündigung des Vertrags", erklärte er mit Bedauern.

Aber die Anwälte, sagte er, lassen nicht locker, "arbeiten, suchen nach Lösungen":

"Wir setzen uns keine Frist. Die Hauptsache ist, dass wir die Lawra zurückbekommen. Aber so, dass wir sie nicht am nächsten Tag wieder verlieren", schloss er.

Während der Gesetzgeber nach Schlupflöchern im Gesetz suchte, waren andere Behörden nicht untätig. So hielt die Polizei am 24. März im benachbarten Gebiet Tschernowitz zwei Busse mit Pilgern an, die auf dem Weg in das Potschajew-Kloster waren.

"Ohne jede Erklärung <...> wurden die Fahrzeuge beschlagnahmt, ein Fahrer im Rentenalter und Vater mehrerer minderjähriger Kinder wurde aufgefordert, sich mit seinen Habseligkeiten beim Wehrersatzamt zu melden",

heißt es in einem Bericht, der auf der Webseite der Abteilung Information und Bildung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche veröffentlicht wurde. Man habe nicht einmal "darauf geachtet, dass sich in den Bussen stillende Frauen, Babys, ältere Menschen, Kinder und Jugendliche befanden", empörte sich einer der Pilger.

Einen Monat später meldete der SBU, dass es Beweise dafür gebe, dass einer der Potschajew-Novizen Profile in verbotenen russischen sozialen Netzwerken nutze, über die er aktiv "Kreml-Propagandanachrichten verbreite". Das Kloster gab ein Dementi heraus: "Dieser Mann ist kein Novize, er wurde nicht in die Bruderschaft aufgenommen und er ist nicht im Kloster registriert."

Der SBU leitete auch eine eigene Untersuchung über die Nutzung der Einrichtungen des Klosters durch die kanonische Kirche ein. Ihre Ergebnisse dienten als Grundlage für ein Strafverfahren.

Gleich zwei Anwärter auf die "Beute"

Gleichzeitig setzen die Behörden von Ternopol die Umregistrierung kanonischer Gemeinden in die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" fort, eine schismatische Struktur, die 2018 mit Unterstützung von Ex-Präsident Petro Poroschenko und dem Istanbuler Patriarchen Bartholomäus gegründet wurde. Nach Angaben des schon erwähnten Leiters des Gebietsrats Golowko sind dreizehn von fast hundert Gemeinden zur Neugründung übergetreten. Er verschweigt, dass es sich dabei in Wirklichkeit um Raubzüge gegen den Willen der Gemeindemitglieder gehandelt hat.

Epiphan Dumenko, der Anführer der Abtrünnigen, reibt sich freudig die Hände. Er erhebt schon lange Anspruch auf ein so wichtiges religiöses Objekt. Das Oberhaupt der kirchlichen Neugründung hat sogar sein eigenes "Kloster" im Kloster registriert und einen Rektor ernannt ‒ einen gewissen Nestor Pysyk. Dieser hat es allerdings noch nicht eilig, sein Amt anzutreten:

"Als wer kann ich dort hingehen? Als ungebetener Gast wird es natürlich nichts nützen. <...> Ich warte also darauf, dass sich etwas ändert", sagt der "Hierarch".

Die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) erhebt ebenfalls Anspruch auf das Kloster von Potschajew:

"Der Standpunkt unserer Kirche stützt sich auf historische Quellen, wonach griechische Katholiken in der Lawra gebetet haben. Unter dem zaristischen Russland wurden sie gewaltsam aus der gesamten linksufrigen Ukraine vertrieben. Wir haben die Lawra von Potschajew nicht freiwillig verlassen",

sagte der Leiter der Kommunikationsabteilung der UGKK, Igor Jatsiw.

Von 1713 bis 1830 gehörte das Kloster tatsächlich den Unierten. Nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes im Jahr 1831 übertrug Kaiser Nikolaus I. das Kloster jedoch der Heiligen Synode. Die UGKK hat nichts gegen die Nachbarschaft mit der "Orthodoxen Kirche der Ukraine". Die Schismatiker sind jedoch ganz anderer Meinung.

Laut dem Religionswissenschaftler Roman Lunkin unterscheidet sich der Fall des Potschajew-Klosters von dem des Kiewer Höhlenklosters:

"Das Potschaew-Kloster beschäftigt viele Einheimische vor Ort. Es ist eine Art stadtbildendes Unternehmen. Und die Menschen werden es verteidigen. Und auch die Pilger werden nicht schweigen."

Andererseits, so der Experte weiter, ist das Kiewer Höhlenkloster Sitz des Kiewer Metropoliten Onufri, "einer einflussreichen Persönlichkeit, an die sich die Behörden nicht herantrauen", während es in der Region Ternopol keine solche Person gibt. Daher wird das Regime nicht geneigt sein, Rücksicht zu nehmen.

Und da es gleich mehrere Anwärter auf das Kloster gibt, wird die Konfrontation hier wahrscheinlich viel härter werden als in Kiew.

Übersetzung aus dem Russischen. Der Bericht ist am 22. Mai 2023 auf ria.ru erschienen.

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