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McGovern: "Verhandeln kommt von Hand – mit ausgestreckter Hand die Sorgen der Gegenseite erfahren"

Der frühere CIA-Analyst Ray McGovern nutzte seinen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat in Sachen Sprengung der Nord-Stream-Pipelines zu einer eindrücklichen Mahnung, sich in die Gegenseite hineinzuversetzen – und mit Moskau zu verhandeln statt zu schießen. Auch der deutschen Justiz verpasste er einen Seitenhieb.
McGovern: "Verhandeln kommt von Hand – mit ausgestreckter Hand die Sorgen der Gegenseite erfahren"Quelle: www.globallookpress.com © Lev Radin/Keystone Press Agency

Nach den Enthüllungen von Seymour Hersh über die Sprengung der Nord-Stream-Leitungen durch die USA hatte Russland für vergangenen Dienstag den UN-Sicherheitsrat einberufen. Die UNO sollte mit der Untersuchung des Anschlags beauftragt werden. In der Anhörung vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sprachen auf Einladung Russlands der Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sachs und der frühere CIA-Mitarbeiter Raymond McGovern.

Moskaus Botschafter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, hatte am Dienstag vor dem UN-Sicherheitsrat erklärt, die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines sei ein Akt des internationalen Terrorismus und müsse aufgeklärt werden, um ein "Chaos" auf hoher See zu vermeiden. Zuvor hatte Russland Deutschland, Schweden und Dänemark der Vertuschung beschuldigt, um die USA zu schützen. Moskau werde daher nur einer UN-Untersuchung vertrauen. Während die russische Seite die USA nicht offen beschuldigt hat, die Bombenanschläge verübt zu haben, hat der Journalist Seymour Hersh in einem Anfang des Monats veröffentlichten Artikel genau das getan.

Renommierte Experten

Jeffrey Sachs stellte in seiner Stellungnahme, die von den NachDenkSeiten vollständig ins Deutsche übersetzt wurde, fest, dass Seymour Hersh einen detaillierten Bericht über die Zerstörung der Pipelines vorgelegt habe. Das Weiße Haus in Washington habe diese Darstellung Hershs als "komplett und völlig falsch" bezeichnet, allerdings auch keine Angaben gemacht, die den von Hersh gemachten Enthüllungen widersprechen oder in anderer Weise die Zerstörungen der Pipelines erklären würden.

Diesen Feststellungen von Jeffrey Sachs schloss sich der ehemalige und langjährige Sowjetunion-Experte der CIA, Ray McGovern, ausdrücklich an. McGovern betonte dabei eingangs, dass seine Stellungnahme auf Grundlage seiner 27-jährigen Erfahrung als hochrangiger CIA-Analyst und Experte für sowjetische Außenpolitik beruhe und ihm niemand vorher gesagt oder ihn gefragt habe, was er vor dem Sicherheitsrat vortragen werde. Unter anderem hatte McGovern mitgeholfen, den ABM-Vertrag von 1972 vorzubereiten.

Wie Jeffrey Sachs betonte auch McGovern die Glaubwürdigkeit von Seymour Hersh – im Unterschied zu den Angaben eines Geheimdienstes wie der CIA oder anderer US-Regierungsstellen. Als früherer CIA-Mitarbeiter müsse er zugeben, dass es mit der Glaubwürdigkeit von öffentlichen Stellungnahmen dieses Geheimdienstes nicht zum Besten bestellt sei. McGovern erinnerte in diesem Zusammenhang an den berüchtigten Auftritt des damaligen US-Außenministers Colin Powell vor dem Sicherheitsrat im Jahre 2003 – dessen Präsentation hatte sich als reine Lüge erwiesen. Alle US-Offiziellen und Presseleute, die die Seriosität von Seymour Hersh in Misskredit zu bringen suchten, hätten selbst ein großes Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit, wie die fingierte Geschichte der angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen, die Powell vorgetragen und die Medien unkritisch aufgegriffen hatten, zeige.

Missbrauchtes Vertrauen

Schließlich kam McGovern auf die Formulierung des angeblich "unprovozierten" militärischen Vorgehens Russlands in der Ukraine zu sprechen. Anekdotisch berichtet McGovern von seiner Begegnung mit einem der Chefberater von Michail Gorbatschow, Wiktor Borissowitsch Kuwaldin. McGovern habe ihn gefragt, wie es gekommen sei, dass das Versprechen der USA, die NATO keinen Zoll nach Osten auszudehnen, im Zuge der Vereinigung beider deutscher Staaten nicht schriftlich festgehalten worden sei. Kuwaldin habe darauf geantwortet:

"Mr. McGovern, das waren die üblichen Gründe: Die Deutschen hatten es noch nicht geglaubt, und der Warschauer Vertrag existierte immer noch. Aber in Wirklichkeit war es so, Mr. McGovern: Wir haben Ihnen geglaubt."

Doch die Osterweiterung – und Verdopplung – der NATO sei nun eine Tatsache, wobei es nicht nur um die Ausdehnung als solche gehe. Denn, wie McGovern erläutert, in Polen und Rumänien sind nun Startvorrichtungen installiert, die zwar einerseits mit defensiven Abwehrraketen bestückt seien, die andererseits aber auch mit atomar bewaffneten Marschflugkörpern oder (Hyperschall-)Raketen ausgerüstet werden könnten.

Deutschland: staatlich eingeschränkte Redefreiheit

Schließlich verdeutlichte McGovern seine Argumentation mit einer Beobachtung, die er in Deutschland gemacht hatte. Bei einem seiner letzten Aufenthalte hierzulande sei ihm in der Öffentlichkeit ein Ansteck-Button mit der Aufschrift "Putin-Versteher" aufgefallen. McGovern ließ sich den Hintergrund und den programmatischen Sinn des Begriffs erklären. Bei Demonstrationen sei ihm dann die Losung "Verhandeln statt Schießen" positiv aufgefallen, wie er im Sicherheitsrat bekannte: "Das macht durchaus Sinn." Doch das Bemühen um ein Verständnis der Position Putins und der Hinweis auf die rechtsextremen Kräfte in der Kiewer Regierung würden in Deutschland nicht geschätzt. Ray McGovern machte im UN-Sicherheitsrat auf den Skandal aufmerksam, dass sein Berliner Freund Heinrich Bücker vom "Coop Anti-War Café" verurteilt wurde, weil er sich öffentlich in diesem Sinne kritisch geäußert hatte. Bücker müsse wahrscheinlich ins Gefängnis gehen, weil das Berufungsverfahren scheitern könnte und er die Geldstrafe nicht zahlen wolle. McGovern kommentierte das deutsche Gerichtsverfahren sarkastisch mit "Nun, das ist Redefreiheit …" und zeigte sich ernsthaft besorgt über das Schicksal seines Freundes Heinrich Bücker.

McGovern schloss seine Stellungnahme vor dem UN-Sicherheitsrat mit dem gesungenen Vortrag der Strophe eines Liedes von Vincent Harding – dem US-amerikanischen Bürgerrechtler und Unterstützer von Martin Luther King: "We are gonna keep on moving forward/ We gonna keep on loving our enemies …"

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