Europa

Aus Blutbad politisches Kapital schlagen: Westliche Medien geben Putin Mitschuld an Crocus-Terror

Russland hätte den Terroranschlag auf die Crocus City Hall verhindern können, wenn es Warnungen der Amerikaner ernst genommen hätte, so der immer lauter werdende Tenor westlicher Medien. Die Washington Post behauptet nun, die USA hätten Moskau sogar den genauen Anschlagsort genannt. Doch die Vorwürfe halten einer Überprüfung nicht stand.
Aus Blutbad politisches Kapital schlagen: Westliche Medien geben Putin Mitschuld an Crocus-TerrorQuelle: AFP © NATALIA KOLESNIKOVA

Bereits unmittelbar nach dem verheerenden Anschlag auf die Crocus City Hall mit inzwischen 144 Toten schossen sich deutsche Medien auf die These ein, dass das Blutbad hätte verhindert werden können, hätte der Kreml Warnungen der USA über einen bevorstehenden Terroranschlag nicht in den Wind geschlagen.

"Die US-Botschaft in Moskau warnte Anfang März davor, dass Extremisten Anschläge auf größere Versammlungen verüben könnten. Ausdrücklich wurden auch Konzerte genannt. In Moskau nahm man die Warnungen der Amerikaner offenbar nicht ernst genug", heißt es etwa im Spiegel.

Putin habe "Washingtons Warnungen ignoriert", im Kreml seien diese "nicht ernst genommen" worden, Putin habe auf die Terror-Warnung "gepfiffen", von einem "Behördenversagen" ist in den deutschsprachigen Medien die Rede.   

Am 7. März hatte die US-Botschaft in Moskau öffentlich vor dem Besuch von Großveranstaltungen gewarnt und sich dabei auf Informationen berufen, wonach "Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau anzugreifen, darunter auch Konzerte".

Einen Tag zuvor hatten die Amerikaner die russische Seite auf den davor vorgesehenen Kanälen gewarnt, also auf Geheimdienstebene. Laut dem Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes (SVR), Sergei Naryschkin, waren diese Informationen aber unkonkret:  

"Ja, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) hat definitiv Informationen von den US-Geheimdiensten erhalten, dass dies leider geschehen kann. Aber wie unsere russischen Kollegen sagten, waren die Informationen zu allgemein und erlaubten es uns nicht, diejenigen vollständig zu identifizieren, die an diesem schrecklichen Verbrechen beteiligt waren."

Ähnlich hatte sich FSB-Direktor Alexander Bortnikow geäußert: "Die (von den USA übermittelten) Informationen über die Vorbereitung von Terroranschlägen an Orten, an denen sich viele Bürger versammeln, waren allgemeiner Natur; wir haben natürlich auf diese Informationen reagiert und geeignete Maßnahmen ergriffen, um solche Ereignisse zu verhindern".

Washington Post behauptet: US-Dienste nannten Anschlagsort 

Am Mittwoch veröffentlichte die Washington Post (WP) einen Bericht, laut dem die Terrorwarnung der Amerikaner jedoch viel konkreter war, als bislang bekannt. Unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten US-Beamten schreibt die Zeitung, dass die USA Russland gewarnt hätten, dass die Konzerthalle Crocus City Hall in Moskau das Ziel eines Terroranschlags sein könnte.

"Der hohe Grad an Spezifität in der Warnung unterstreicht die Überzeugung Washingtons, dass der Islamische Staat einen Angriff vorbereitete, der eine große Anzahl von Zivilisten bedrohte, und steht in direktem Widerspruch zu Moskaus Behauptungen, dass die US-Warnungen zu allgemein waren, um den Angriff zu verhindern."

Anschließend weist die WP die Behauptung von Naryschkin zurück, wonach "geeignete Maßnahmen zur Verhinderung" ergriffen worden waren, und schreibt diesbezüglich: "Videos vom Ort des Massakers zeigen jedoch, dass die Bewaffneten auf keinen nennenswerten Widerstand trafen."

Konkret lautet die Botschaft der Washington Post also: Die Amerikaner haben den Russen sogar gesagt, wo die Terroristen zuschlagen werden, aber der Kreml hat die Warnung ignoriert – und trägt somit eine Mitschuld an dem Blutbad. Doch um diese Botschaft zu streuen, muss die US-Zeitung wesentliche Faken ausblenden oder zurechtbiegen. 

Warnung bezog sich auf konkreten Zeitraum

Wie die Washington Post im weiteren Verlauf des Artikels selbst erwähnt, bezog sich die Warnung der Amerikaner auf einen konkreten Zeitraum – nämlich auf die nächsten 48 Stunden.

Dass die Russen die Warnung der Amerikaner ernst genommen haben, zeigt die Tatsache, dass unmittelbar darauf die Sicherheitsvorkehrungen in Moskau massiv erhöht wurden – auch an der Crocus City Hall, wie auch die WP einräumt.

Im Rahmen der erhöhten Anti-Terror-Maßnahmen hatte der FSB – einen Tag, nachdem er die Terror-Warnung aus den USA erhielt – einen Terroranschlag auf eine Synagoge in Moskau vereitelt. Die WP behauptet, dass die Warnung der Amerikaner Informationen über den geplanten Anschlag auf die Synagoge durch IS-Terroristen enthalten habe. Dies wäre ein weiterer Beleg dafür, dass Moskau die Warnungen ernst nahm und entsprechende Maßnahmen eingeleitet hat.

"Zumindest anfangs" habe die russische Regierung die Warnung Washingtons ernst genommen, muss dann auch die WP eingestehen. Dann schreibt sie weiter: 

"Warum die Sicherheitsvorkehrungen nach der ersten Warnung nicht erhöht und aufrechterhalten wurden, bleibt unklar. Es ist möglich, dass die russischen Sicherheitsdienste, die in den Tagen kurz nach dem 7. März keinen Angriff verzeichneten, davon ausgingen, dass die US-Informationen falsch waren, und ihre Wachsamkeit vernachlässigten, wie einige US-Beamten mutmaßen."

Die kolportierten Mutmaßungen dürften zutreffend sein – denn die Warnung der Amerikaner bezog sich auf einen konkreten Zeitraum. Da in diesem Zeitraum nichts Entsprechendes geschah, mussten die russischen Dienste davon ausgehen, dass die Warnung entweder auf falschen Informationen beruhte oder die Terrorgefahr aus anderen Gründen nicht mehr fortbestand. 

Wenn die Amerikaner der Ansicht waren, dass die Terrorgefahr auch nach Ablauf der 48 Stunden Gültigkeit behielt, dann hätten sie "nachlegen" und die russischen Dienste erneut warnen müssen. Darauf weist Larry Johnson hin, ein langgedienter Veteran der CIA und des Büros für Terrorismusbekämpfung des US-Außenministeriums:

"In den letzten 35 Jahren kann ich mich an keinen einzigen Fall erinnern, in dem das Außenministerium eine Warnung wie diese herausgegeben hat, in der ein bestimmter Zeitraum für die Wachsamkeit angegeben wurde. Die Warnung selbst setzt nachrichtendienstliche Erkenntnisse voraus, die einen bestimmten Zeitrahmen für den Angriff angaben.

Wenn also der Angriff nicht stattfindet, muss man zu den Analysten zurückgehen und fragen: Was ist los? Hätten die Analysten gesagt: 'Oh, Moment, die Russen haben am 8. März die Sicherheitsvorkehrungen an der Crocus City Hall erhöht und den Anschlag vereitelt', dann hätte die nächste Frage lauten müssen: 'Glauben Sie immer noch, dass es einen weiteren Anschlag geben wird?' Die Analysten hätten ja, nein oder vielleicht sagen können."

Der Ball lag laut Johnson also bei den US-Diensten: 

"Wenn man also glaubt, dass die Geheimdienstinformationen glaubwürdig sind, dann hätte die US-Regierung eine weitere Warnung herausgeben müssen, große Versammlungen, wie Konzertsäle, weiterhin zu meiden. Die US-Regierung hat das nicht getan. Die US-Regierung behauptet: 'Wir haben die Russen gewarnt und sie haben nicht gehandelt.' Für mich sieht das nach einer PsyOp aus, mit der Putin als herzloser Trottel dargestellt werden soll, der unsere Geheimdienstinformationen ignoriert hat."

Die russischen Dienste haben also die Warnungen der Amerikaner ernst genommen und die Sicherheitsmaßnahmen entsprechend der konkret vorliegenden Informationen – Ort: Moskau, Zeitpunkt: Nächste 48 Stunden – erhöht.

Crocus wurde laut Seymour Hersh nicht als Anschlagsziel genannt

Während die WP keinen Beleg dafür erbringen kann, dass die Terrorwarnung über 48 Stunden hinaus akut war, steht auch die Aussage der namentlich nicht genannten Quelle über den Ort des Anschlags auf äußerst wackeligen Füßen. 

Denn laut einer anderen Quelle aus dem US-Sicherheitsapparat, auf die sich der Investigativjournalist Seymour Hersh beruft, sei der Anschlagsort nicht bekannt gewesen, weshalb die intern an die Russen übermittelte Warnung lediglich von einer "öffentlichen Versammlung" gesprochen habe. Die Quelle bezeichnete den WP-Bericht als "absichtlich verdreht, um das Versagen [des russischen Präsidenten Wladimir Putin] noch viel gravierender zu machen". 

In dem Versuch, Putin eine Mitschuld an dem Blutbad zu geben, verweisen Medien beständig auf dessen Aussage während einer Sitzung des FSB-Vorstands am 19. März, also drei Tage vor dem Massaker. So heißt es bei der NZZ:

"Präsident Putin hat auch amerikanische Warnungen vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff in den Wind geschlagen. Die Informationen der Amerikaner waren sehr konkret und bezogen sich unter anderem auf die Gefahr von Anschlägen gegen Konzerte. Statt dies ernst zu nehmen, tat der Kremlchef die Warnungen vor wenigen Tagen als westliche 'Provokation' ab und behauptete groteskerweise, Washington wolle damit die russische Gesellschaft einschüchtern und destabilisieren."

Um dieses Narrativ zu spinnen, greift die NZZ – wie auch die Mehrzahl der Mainstreammedien – zu handfesten Lügen. Denn wie bereits gezeigt, wurde die Warnung aus den USA nicht in den Wind geschlagen. Und diese war auch nicht "sehr konkret", sondern äußerst vage. Konkret war sie nur insofern, als dass sie sich auf Moskau als Ort und auf die nächsten 48 Stunden als Zeitpunkt bezog – und dementsprechend wurden die Sicherheitsmaßnahmen erhöht. 

Zynische Verdrehung der Tatsachen

Aus russischer Sicht stellten sich die Ereignisse also wie folgt dar: Die Amerikaner warnten öffentlich vor dem Besuch von Massenveranstaltungen in Moskau, und schürten damit Verunsicherung in der Bevölkerung. Zugleich nannten sie den russischen Diensten keine näheren Details, auf denen diese Terrorwarnung beruht. 

Als dann innerhalb des genannten Zeitraums nichts geschah und es auch keine Nachfolge-Warnungen gab, lag der Verdacht nahe, den Putin dann 12 Tage nach der Warnung öffentlich geäußert hatte: Nämlich dass es sich um eine Provokation handelte, um kurz vor den russischen Präsidentschaftswahlen Verunsicherung zu schüren und damit die Gesellschaft zu destabilisieren. 

Wenn die Terrorgefahr nach Ansicht der Amerikaner über den 48-stündigen Zeitraum hinaus bestand, dann hätten sie die russische Seite informieren müssen. Das taten sie nicht, stattdessen hielten sich wichtige Informationen vor, wie die New York Times berichtete. Wenn überhaupt, dann muss man den US-Diensten Versagen vorwerfen. Dass man im Westen bestrebt ist, dieses Versagen der russischen Seite zuzuschieben, um aus dem Blutbad politisches Kapital zu schlagen, ist nichts anderes als blanker Zynismus. 

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