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Der Kampf um Ugledar: Warum diese kleine Stadt militärisch so wichtig ist

Es läuft der dritte Versuch der russischen Armee, Ugledar einzunehmen. In Moskau herrscht die Hoffnung, dass man diesmal damit erfolgreich sein wird. Was aber macht eine kleine Stadt im Südwesten des Donbass militärisch so wichtig?
Der Kampf um Ugledar: Warum diese kleine Stadt militärisch so wichtig ist© Sputnik/RIA-News

Von Wladislaw Ugolni

Nach der erfolgreichen Eroberung von Soledar ist die russische Armee im Donbass weiter vorgerückt, wobei die Kämpfe unvermindert andauern. Im Südwesten liegt Ugledar – eine kleine Bergarbeiterstadt, rund 100 Kilometer nördlich von Mariupol –, das zur Hauptstoßrichtung für Moskaus Truppen geworden ist. Gelingt der russischen Armee diese Offensive, wird dies ein schwerer Schlag für die Ukraine. Durch einen Sieg in Ugledar könnte das Kräftegleichgewicht im Gebiet Donezk verändert und die Verteidigung von Melitopol verstärkt werden.

Warum liegt der Fokus auf diesem Bereich der Front?

Der Angriff auf Ugledar wurde am 24. Januar von Marinesoldaten der Pazifikflotte und von Spezialeinheiten der Volksrepublik Donezk (DVR) lanciert. Obwohl die russischen Streitkräfte in den ersten Tagen der Operation einige Geländegewinne erzielen konnten und den ukrainischen Streitkräften schwere Verluste zufügten, wurden seitdem nur wenige Fortschritte erzielt.

Ugledar besteht aus mehrstöckigen Häuserblocks aus der Sowjetzeit und unterscheidet sich von älteren Städten der Region dadurch, dass es innerhalb der Stadtgrenzen keine Einfamilienhäuser gibt. Das macht Ugledar zu einer kompakten Festung, zumal es auf einer Erhebung liegt und zusätzlich Befestigungsanlagen angelegt wurden.

Diese Faktoren haben sie Stadt zu einem Knotenpunkt der ukrainischen Verteidigung südwestlich von Donezk gemacht. Diese Stellung ermöglicht es den Streitkräften Kiews, das umliegende Gebiet unter Kontrolle zu behalten, und hindert die russischen Streitkräfte daran, aus südlicher Richtung auf Marjinka, Kurachowo und Awdejewka, in die Flanke der ukrainischen Armee zu stoßen. In der Nähe von Ugledar verläuft zudem ein Abschnitt der Eisenbahnlinie Donezk–Wolnowacha, die solange sich ukrainische Stellungen in Schussweite befinden, nicht für militärische Zwecke genutzt werden kann.

Nicht der erste Versuch, die Stadt zu erobern

Die ersten zwei Offensiven der russischen Armee in Richtung Ugledar blieben erfolglos. Die aktuelle Frontlinie nahm im März vergangenen Jahres ihre derzeitige Gestalt an, nachdem Truppen der DVR die ukrainische Verteidigung bei Wolnowacha und Granitnoje durchbrochen hatten und sich mit den von der Krim vorstoßenden russischen Streitkräften vereinten. Sie haben damit die strategische Aufgabe erfüllt, Mariupol einzukreisen und einen Landkorridor zwischen der Krim und Rostow am Don zu schaffen. Der Kampf um Mariupol verzögerte jedoch den weiteren Vormarsch und hinderte die russischen Streitkräfte damals daran, Ugledar und Welikaja Nowosjolka im Westen einzunehmen.

Dieser Frontabschnitt war lange Zeit Schauplatz von Stellungskämpfen und Artilleriegefechten, was auf humanitäre Hilfe angewiesene Bewohner der umliegenden Dörfer in eine schwierige Lage brachte: Hilfslieferungen gerieten regelmäßig unter Beschuss. Ein Kloster im Dorf Nikolskoje in der Nähe von Ugledar wurde zu einem humanitärem Zentrum und zum Zufluchtsort. Allerdings wurde auch dieser Ort regelmäßig bombardiert.

Am 22. Juni vergangenen Jahres hatten die ukrainischen Streitkräfte einen Gegenangriff südlich von Ugledar gestartet und ihre Kontrolle über dominierende Höhen genutzt, um das Dorf Pawlowka zu besetzen, waren jedoch nicht weiter als bis zum Dorf Jegorowka gekommen. Darauf folgte eine lange Phase  erschöpfender Stellungskämpfe. Die Kämpfe im Waldgürtel zwischen Pawlowka und Jegorowka setzten sich den ganzen Sommer über fort. Beide Seiten erlitten dabei schwere Verluste, doch die Frontlinie blieb bis Ende Oktober statisch, bis dann die russischen Streitkräfte die Rückeroberung von Pawlowka versuchten.

Dieser Versuch erwies sich jedoch als nicht gut durchdacht. Obwohl das Schlachtfeld schließlich in die Hände der russischen Streitkräfte fiel, war es kaum eine gute Idee die Offensive bei schlammigen Bodenbedingungen zu starten. Der Angriff auf Pawlowka führte zu zahlreichen Verlusten an gepanzerten Fahrzeugen und war begleitet von Schwierigkeiten bei der Evakuierung der Verwundeten und der Heranführung von Verstärkung. Pawlowka stand nach etwa zehn Tagen unter russischer Flagge, weiter nach Norden getrieben konnte die Offensive jedoch nicht. Das wurde in russischen Medien und Blogs ausführlich debattiert und die verantwortlichen Kommandeure sind heftig kritisiert worden.

Wie die Kämpfe derzeit verlaufen

Nachdem die russischen Streitkräfte sich durch Aufstockung der Mannschaftsstärken vorbereitet hatten, lancierten sie zwei Monate später die dritte Schlacht um Ugledar. Laut einem Offizier der DVR, Alexander Chodakowski, der als Teil einer Polizeieinheit an den Kämpfen teilnahm, zeigten Luftbilder eine erhebliche Verwirrung und Desorganisation in den feindlichen Reihen.

Der Erfolg gelang mit einem Durchbruch von Südosten her durch eine Datschensiedlung bei Nikolskoje, weil die Ukrainer ihre Verteidigung auf einen Angriff aus Richtung Pawlowka ausgerichtet hatten. So erlangten die russischen Streitkräfte innerhalb weniger Tage die Kontrolle über die Datschen bei Nikolskoje, übernahmen die Bauernhöfe und den Getreidespeicher nördlich von Pawlowka und konnten in die südöstlichen Außenbezirke von Ugledar eindringen.

Die ukrainischen Streitkräfte gruppierten ihrerseits ihre Verteidigung um, indem sie sich tiefer nach Ugledar zurückzogen und die Plattenbauten weiterhin als Bollwerke nutzten, während sie das Gebiet rund um das Bergwerk Juschno-Donbasskaja Nr. 1, nordöstlich von Ugledar, ihre Reserven für Gegenoffensiven konzentrierten.

Einheiten der 1. Panzerbrigade der 35. Marinedivision der Ukraine – und nach unbestätigten Berichten ihrer 80. Luftlandebrigade – wurden entsandt um die dort kämpfenden Ukrainer der 72. mechanisierten und der 68. Jäger-Brigade zu unterstützen. Auf diese Weise gelang es den russischen Streitkräften – trotz des Ausbleibens bedeutender Fortschritte und der Rückkehr zum Stellungskampf –, die ukrainischen Reserven zu strapazieren und sie von Artjomowsk (ukrainisch Bachmut) und Kremennaja abzulenken, wo derzeit die russische Offensive im Gange ist.

Die Versuche des russischen Militärs, in der Nähe von Ugledar durchzubrechen, gehen weiter. Laut einem Berater des amtierenden Oberhaupts der DVR, Igor Kimakowski, ist die Siedlung teilweise umzingelt.

Selbst im Falle eines Erfolgs ist ein bedeutender Vorstoß der russischen Armee weiter nach Norden unwahrscheinlich, da dies schwierig wird, sobald die Ukraine weitere Reserven zusammenzieht. Kiew würde jedoch sein wichtigstes Bollwerk in der Region verlieren und wäre gezwungen, sich nach Norden zurückzuziehen, wodurch ein günstiger Brückenkopf für eine Offensive gegen die Autobahn Donezk–Wolnowacha und Schlüsselpositionen für die Artillerie verloren gehen.

Aus dem Englischen.

Wladislaw Ugolni ist ein russischer Journalist aus Donezk.

Mehr zum Thema - "Die ganze Stadt ist übersät mit Leichen" – Soledar nach dem unerbittlichen russischen Angriff

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